NANITO und die weiße Frau / aus Kapitel 1

 

Herein, herein,“ begrüßte Theo Nanito herzlich und schüttelte ihm kräftig die Hand. „Reisen bildet. Als ich in deinem Alter war, war ich auch unterwegs. Ein sehr schöner Brauch. Worauf wartest du noch?“

Theo ging vor. Im hinteren Raum knisterte ein heimeliges Feuer.

Meine Bibliothek“, sagte er stolz und rückte die Sessel zurecht.

Na, setz dich erst einmal.“

Er schenkte Nanito eine große Tasse dampfenden Milchkaffee ein. Dann setzte er sich in den anderen Sessel und faltete die Hände über dem Bauch.

Jede Wette, du hast eine Menge zu erzählen!“                               

Die beiden verstanden sich prächtig. Deshalb schlug Theo bald vor, Nanito könne doch bleiben und sich nützlich machen. Walderdbeeren pflücken, Marmelade einkochen, den Vorratsraum aufräumen. Außerdem würde unter der Erde auch im Sommer Feuerholz gebraucht. Oh ja, es gab viel zu tun. So hätte er ein bisschen mehr Zeit für seine Studien und Nanito hätte ein Dach über dem Kopf.

Prima Idee, fand auch Nanito. Mit Handschlag besiegelten sie die Abmachung.

Der Ernst des Lebens fängt aber erst morgen an. Noch bist du Gast.“

Während Theo das Abendbrot vorbereitete, schaute sich Nanito die Bücher an. Auf den ledernen Rücken standen oft nur Ziffern. Die meisten Bücher waren sehr alt. So alt, man traute sich gar nicht anzufassen. Vorsichtig zog er eines heraus. Der Eifelmaler stand darauf. Hügel und Täler gab es in allen Farben. Aber auch Wiesen voller Blumen, hübsche Dörfer mit spitzen Kirchtürmen und viele, viele Burgen. Die kannte Nanito bisher nur aus den Märchen. Wer weiß, dachte er sich, so gut wie alles anfängt, vielleicht nimmt mich ja als nächstes ein Burgherr auf. Gedankenverloren wollte er das Buch wieder an seinen Platz stellen, da ging ein leises Zittern durch die Reihen. Das Regal begann zu ächzen und zu knarren. Oh je, mit lautem Knall fiel ein schweres Buch herunter. Ein paar kleinere purzelten hinterher. Es war ein fürchterlicher Krach.

Theo steckte den Kopf zur Tür herein und konnte Nanito gerade noch davon abhalten, das dicke Buch wieder zuzuklappen.

Tja“, sagte er schmunzelnd, „es ist eben ein besonderes Buch und weiß, was es will. Wenn es sich von alleine aufschlägt, will es gelesen werden. Das war immer schon so und hat seinen Sinn. - Vielleicht hat es ja auf dich gewartet?!“

So kam es, dass Theo an diesem Abend seine Lesebrille aufsetzte und Nanito diese Geschichte vorlas:

 

Die weiße Frau

 

Vor langer, langer Zeit, als in der Eifel noch bittere Not und Armut herrschten, wurden oft auch die Kinder zur Arbeit geschickt. So geschah es auch in der Nähe von Fließem im Bitburger Land. Wenn die Not allzu groß war, schickten die Eltern den ältesten Sohn zu den Nachbarn die Schafe hüten.

 

An einem warmen Sommerabend stand der Junge wieder einmal bei seiner Herde und blickte verträumt auf die Hügel, die im Licht der untergehenden Sonne ein wundervolles Leuchten hatten. Er war müde, doch mit sich und seiner Arbeit zufrieden. Bald wollte er die Tiere nach Hause treiben. Da erblickte er auf dem nächstgelegenen Hügel ein prächtiges Schloss, das größer und größer wurde, und aus dem eine weiße Marmortreppe bis zu ihm herunterführte. Eine breite Flügeltür öffnete sich, und eine schöne Frau in weißem Gewand kam langsam zu ihm herabgeschritten. Sie blickte ihn freundlich an und strich mit sanfter Hand über sein Haar; in der anderen Hand trug sie ein weißes Körbchen. Nun wandte sie sich wieder um, schritt die Treppe zurück und die große weiße Flügeltür schloss sich lautlos hinter ihr.

 

Zuerst dachte der Junge, er habe die wundersame Begegnung mit der weißen Frau nur geträumt. Da aber sah er das weiße Körbchen neben sich stehen. Es war gefüllt mit Goldstücken, Geschmeide und Edelsteinen.

 

Schnell trieb der Junge seine Herde zum Dorf zurück. Zu Hause in der ärmlichen Stube schüttete er seine Schätze auf den Tisch, so dass den Eltern und Geschwistern die Augen übergingen.

 

Von jenem Tag an gab es in diesem Haus weder Armut noch Not. Die weiße Frau wurde danach noch häufig in der Gegend gesehen. Sie kam über Wiesen und Felder, und begegnete sie einem Kind, rief sie es zu sich und gab ihm eine Goldmünze oder ein kostbares Schmuckstück. Doch die einmal beschenkten Kinder sahen die weiße Frau nie mehr wieder.

 

Theo legte das Buch auf den Tisch und lehnte sich im Sessel zurück.

Gar nicht mal übel als Willkommensgeschenk.“

Meinst du wirklich, die Geschichte ist für mich?“ wollte Nanito neugierig wissen, dabei kribbelte es ziemlich im Bauch.

Theo strich sich den Bart und lächelte verschmitzt:

„Tja. Wird sich zeigen. Warten wir´s ab.“

 

Literatur: Pracht, Hans-Peter: Sagen und Legenden der Eifel, Köln 1983

 

                                                                                                              Leseprobe 2 

                                                                                                    Illustrierte Einblicke

 

Mehr über Nanito finden Sie auf der Palmeninsel!

 

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